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Ein Selbstversuch - Leben ohne WhatsApp

  • Laura
  • 1. Nov. 2020
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 12. Nov. 2020

Ich habe ein Verbrechen begangen und bekenne mich in allen Anklagepunkten schuldig. Was ist passiert möchtet ihr wissen? Na ich nutze kein WhatsApp (mehr).

So fühlte es sich zumindest an als ich mich neulich aus der WhatsApp-Welt verabschiedete. Zugegeben, es war eher eine Kurzschluss-Reaktion, inmitten einer massiven emotionalen Überforderung mit meinem Sohn. Aber damit, was danach postwendend geschah, hatte ich nicht gerechnet:

Sofort - wie aus einem Maschinengewehr - hagelte es Nachrichten mit der Frage nach dem entsetzten WARUM?

Keine dieser Anfragen habe ich bisher detailliert beantwortet. Denn ich musste mir zunächst selber erst einmal im Klaren darüber werden, was mich plötzlich zu dieser Handlung bewog. Dieser plötzliche Impuls fühlte sich in dem Moment schon auch etwas „fremdbestimmt“ an.

Im Nachhinein muss ich mich aber fragen, wieso dieser Impuls sich zunächst „fremdbestimmt“ anfühlte, denn die Entscheidung kam ja schließlich tief aus meinem Inneren. Mittlerweile frage ich mich aber, ob nicht genau diese gefühlte Fremdbestimmung ausschlaggebend war für das Abmelden von WhatsApp. Ist es nicht so, dass ein Teil der WhatsApp-Welt zu sein, eine Art Fremdbestimmtheit mit sich bringt? Hingegen ein Leben ohne WhatsApp eine zurückeroberte Freiheit bedeuten kann?

Nüchtern betrachtet ist die Nutzung der App zunächst grundsätzlich freiwillig und nur Eine von vielen zur Verfügung stehenden Kommunikationsplattformen, für die man sich bewusst entscheiden kann. Aber ist man erst einmal angemeldet, so scheint ein Zurück kaum mehr möglich zu sein. Denn es dauert nicht lange und man ist fester Bestandteil zahlreicher Gruppen. Und für jeden Anlass gibt es heutzutage eine Gruppe. Man wird meist auch nicht vorher gefragt, sondern es wird einfach davon ausgegangen, dass man über ein Geburtstagsgeschenk für einen flüchtigen Arbeitskollegen sehr gern wochenlang im Gespräch sein möchte. Ich für meinen Teil habe dafür keine Zeit! Nein – ehrlich gesagt - ich möchte mir dafür keine Zeit nehmen.

Einige von euch spreche ich sicher aus der Seele, andere werden aber intervenieren. Denn für die, welche Gruppen lieben, ist es sicher eine Möglichkeit mit anderen im engen Austausch zu sein und das Gefühl zu haben, dazu zu gehören. Denn für uns als Alleinerziehende ist die Kommunikation mit anderen Erwachsenen, ein sehr wichtiger Bestandteil unserer sozialen Hygiene, da eben bei uns nicht der Partner/die Partnerin nach getaner Arbeit nach Hause kommt, uns einen Kuss gibt, wir gemeinsam zu Abend essen und sich im Elternbett noch über den Tag ausgetauscht wird, bis man dann gemeinsam müde aber kuschelnd einschläft. So zumindest, gaukelt mir meine temporär immer mal wieder auftauchende Sehnsucht nach einer Paar-Elternschaft, dies manches Mal vor. Die Realität sieht sicher auch hier aber meistens anders aus.

Für mich zumindest scheint WhatsApp nicht das optimalste Medium zu sein, um mit meinen Liebsten im Kontakt zu stehen. Irgendwie hat sich die WhatsApp Mitgliedschaft für mich aber noch nie so wirklich freiwillig angefühlt. WhatsApp hat es mittlerweile auch in alle Lebensbereiche geschafft. Sogar in die Autokorrektur von Word – wie ich grad festgestellt habe *lach*. Vermutlich gleich hinter den Wörtern „Google“ und „Facebook“.

Auch Radiosendern kann man mittlerweile eine WhatsApp senden, um beispielsweise den Stau zu melden. Ob man auch eine SMS schicken kann? Ich bezweifle das.

Ohne WhatsApp ist man wohl tatsächlich eher ein Aussenseiter heutzutage. Oder würde es mir gelingen, als tapferer Ritter WhatsApp den Krieg zu erklären? Und die Truppen erfolgreich durch diese Schlacht zu führen - mit dem Ziel: Freiheit? Vermutlich würde ich mit nur einer Handvoll MitstreiterInnen in diesen Krieg ziehen. Denn auf der anderen Seite des Grabens befinden sich ja die WhatsApp-Süchtigen unserer Welt-Bevölkerung.

Wir würden aktuell diesen Krieg verlieren. Sie würden uns mit ihren Pferden einfach überrennen und anschliessend mit ihren Pfeilen aufspiessen und auf den Marktplatz als Trophäen vorzeigen. Soviel steht fest.

In meinem Fall waren es nun genau genommen keine Pfeile die sie auf mich schossen, sondern dafür hat unsere Gesellschaft eine eigene Waffe entwickelt – das bombardieren mit verbaler Kritik. Muss ich mich denn für alles rechtfertigen was ich tue?

So stand ich nun da, überfordert mit meinem Sohn in mitten des pöbelnden Volkes auf diesem Online Marktplatz.

In mir ging ein Gefühlschaos los. Wenn alle dagegen wettern, kann das dann richtig sein? Ich legte mein Handy erstmal zur Seite. Denn so konnte ich mich zum Glück dem ganzen Chaos temporär entziehen. Da ging es mir besser als denen auf dem mittelalterlichen Marktplatz *lach*.


Nachdem ich wieder Frau meiner Sinne wurde, fragte ich mich, woher kam diese starke Eingebung der ich in diesem Moment so hörig war und mich bewog, von WhatsApp abzumelden. Ich denke, es war der Lichtblick nach einer langersehnten Lösung für all meine Herausforderungen im Alltag. Dies versprach mir zumindest in diesem Moment das Gefühl.

Leider oder zum Glück (das habe ich für mich noch nicht abschliessend beantworten können) habe ich ja neben meinen Gefühlen auch noch meinem Verstand. Geprägt durch die jobbedingte, etwas krankhafte, analytische Herangehensweise an Problemstellungen, machte ich nun erst einmal eine Bestandsaufnahme der Fakten um diese neue Ausgangslage bewerten zu können. Schauen wir uns einige Mal genauer an:


Zeitfresser: Nun – wer kennt es nicht – ständig ein Blick auf das Handy. (Mal ehrlich – auch ihr nimmt es mit aufs Klo). Ich glaube ihr gebt mir recht, dass WhatsApp ein intensiver Zeitfresser ist. Vielleicht würdet ihr es nicht unbedingt als „Zeitfresser“ betiteln, denn diese Plattform bietet euch ja auch etwas im Gegenzug.


Parallele Realität: Aber Fakt ist auch, dass man sich zumindest gedanklich aus dem physischen Raum in einen virtuellen Raum mit dem Gesprächspartner begibt. Eine Kommunikation mit Mimik und Gestik ist trotz zahlreicher Emojis aber dann doch nicht das gleiche, als dem Gegenüber live zu begegnen. Ihr wollt einen Beweis? Ok aufgepasst – man nehme eine typische Dating Situation. Kennen gelernt, natürlich auf einer Online Plattform, und nun ist man zum ersten Mal zum Date verabredet. Ein anfänglich vielversprechender Prinz entpuppt sich dann oftmals in Persona nicht als der vorgestellte Märchen-Prinz, nicht wahr? In meiner Vorstellung war er viel schlauer, redegewandter und schöner. Persönliche Treffen lassen sich einfach nicht ersetzen. Ich tausche also Online-Zeit in Gegenwart-Zeit mit meinen Liebsten.

Und warum ich mit der einen Freundin verabredet bin und gleichzeitig einer Anderen schreiben sollte- ja warum habe ich mich denn nicht mit der Anderen verabredet? Das zumindest leuchtete mir in der Tat noch nie so richtig ein.


Schockstarre wegen anderer Profilbilder: Wer kennt das nicht, das es während der Suche nach einem vergangenen Chat, welcher zwischenzeitlich zahlreiche Positionen nach unten gerutscht ist, plötzlich unbewaffnet und zudem ohne tragen eines Schutzschildes einen kalt erwischt. Jemand hat ein neues Profilbild. Der Ex Partner ist mit einer neuen Flamme im Bild. Das was auf dem Foto zu sehen ist, ist dann mal Fakt, aber ist es gerechtfertigt daraus Schlussfolgerungen zu ziehen? Bullshit, das sagt gar nichts! Nur wer erklärt das meinen sofort parat stehenden emotional geladenen Soldaten, welche schon begonnen haben, zu toben und für Hitzewallungen zu sorgen? Alles in mir beginnt sofort ein Eigenleben zu führen. Zum Glück habe ich wieder meinen Verstand, der alle Soldaten wieder auf ihren Platz verweist. Denn es kann ja nicht sein, dass dieses EINE Foto eine globale Aussage über die Glücklichkeit des Ex suggeriert. Und gerade ich als Ex-Partnerin sollte es zudem ja besser wissen. Der Schein trügt – dieser Mensch hat nicht nur exzellente Seiten. Die Macken des Ex hat sich die neue Flamme gleich mit eingekauft. Nur gibt es über diese Situation halt kein Profilbild. Ihr kennt solche oder ähnliche Szenen sicher auch. An dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen – dass wir uns das selbst antun.


Eigene Außenwirkung: Auch ich kann diese Art der Kriegsführung zu meinem Nutzen machen. Ich kann mit nur einem Profilbild einer Person ihren Tag so richtig versauen. Aber mal ehrlich, habe ich nicht besseres zu tun in meiner Freizeit? Die eh schon so begrenzt ist – vor allem seitdem ich alleinerziehend bin.

Wir sind uns also einig, dieses eine Foto ist und bleibt eine Momentaufnahme. So kann der eine Moment, der das strahlende Kind zeigt, in der Realität genau der einzige Moment von den ganzen letzten 24 h sein. Quasi eine Ausnahmesituation des Alltags. Poste ich nun aber diese Ausnahmesituation, dann ist eine Folge daraus, dass alle daraus schliessen werden: „Mensch der Laura geht’s aber gut“. Vielmehr heißt es doch aber nur, dass ich auch mal einen guten Moment hatte, neben den vielen herausfordernden an diesem Tag, welche ich zu meistern habe. Allein - versteht sich von selbst. Wenn ich ein Foto posten wollte, welches meinen Alltag realistisch wiederspiegelt, dann wäre es vielmehr das unaufgeräumte Zimmer oder ein Blick unter den Esstisch wo noch der Brokkoli von gestern auf dem Boden (mittlerweile) festgetreten klebt. Wäre das nicht ein Profilbild wert?

Denn das repräsentiert doch grad viel mehr mein Tagesgeschäft. Oder die tiefen Augenränder aufgrund des permanenten Schlafmangels. Das alles wäre ein Profilbild wert. Wer traut sich und postet ab sofort anhand seines Profilbildes die ungeschminkte Wahrheit? Wäre das nicht befreiend und würde den Druck und das Streben nach Perfektion bereits im Keim ersticken?

Mein Alltagsfoto würde grad eine Frau zeigen, die ein Schild in der Hand hält mit der Aufschrift HELP in einer komplett überforderten Pose. Die Hochglanz Fotos überlasse ich ab jetzt den Anderen.


Und dann wäre da noch der Diebstahl: Ist euch das auch schon mal passiert? Mein Sohn hat eine Geburtstagskarte mit einem Foto von ihm erhalten. Dieses Foto habe ich der Person aber nie geschickt. Ich hatte es einfach eine Zeit als Profilbild. Die Person hat also einen Diebstahl begannen, argumentiert mein naives Rechtsempfinden! Naja, genau genommen habe ich es ja zur allgemeinen Verfügung gestellt. Und die Funktion „Screenshot“ ist mir auch nicht unbekannt. Für alle Ewigkeit ist nun das Foto bei dem anderen gespeichert. Gelangt von da aus also quer durch den Planeten Internet. Juhu.


Privatsphäre: Auch interessant ist, wenn du mit Personen keinen Kontakt mehr hast, sie aber mit dir sehr wohl weiterhin im Kontakt stehen. Glaubst du nicht? Ich bin sicher, auch bei dir lassen sich Karteileichen im Adressbuch finden. So geschehen in meinen Fall. Personen haben meine Nummer noch in ihren Kontakten gespeichert und schon sahen sie immer mein aktuelles Profilbild. Hätte ich dieses Foto denn auch ihnen direkt geschickt? Gewiss nicht. Und damit nicht genug, werden dann die Geschichten und Gerüchte postwendend in die Welt gesetzt. So geschehen als die Eltern meines Ex Partners mir berichteten, dass sie mein Leben noch begleiten, weil sie immer meine Fotos sehen und daher wüssten sie, wie es mir geht. Darüber, dass sie mit mir im Kontakt bleiben wollten freute ich mich, aber dass sie es die letzten Jahre waren ohne das ich es wusste - eher nicht. Mal ganz von ihrer pragmatischen Schlussfolgerung abgesehen.

Ist einem das wirklich bewusst? Jede und jeder, den ich in meinem Kontakten gespeichert habe, kann mein Profilbild anschauen. Nun ok, es ist auch eine Möglichkeit sich zu präsentieren. Aber will ich das denn? Geht es meinen Ex Chef etwas an, wie gut (dank der heutigen Filter) ich im Bikini aussehe? Oder den neuen Kontakt von dem letzten Ebay Einkauf? Wer räumt denn schon seine Kontakte regelmässig auf?

Wir sind halt Jäger und SammlerInnen und einmal erhaltene Nummern, speichern wir und vergeben so eine Dauerkarte zur Verfolgung unseres Lebens. Aber eben - bei mir ist jetzt Schluss damit. Bei der guten alten SMS kann ich selbst entscheiden wer ein Foto von mir erhält.


Das war sie – meine Bestandsaufnehme. Und das Fazit? Ist es nun die Lösung für all meine alltäglichen Herausforderungen? Ich denke nicht. Gibt es mir mehr Zeit zurück um den Fokus auf mich und meine Einelternfamilie zu legen? Ja und hey - Zeit ist ja bekanntlich heutzutage eine der kostbarsten Ressourcen, welche wir haben.

Aber am allerbesten ist - ich kann mich nun endlich auf die tatsächlichen Freunde konzentrieren, die auch mit einem im Kontakt bleiben, wenn man kein WhatsApp mehr hat. Denn das sind die, welche dir auch helfen und für dich da sind, wenn dir mal wieder in deinem Alltag als Alleinerziehende/r alles über den Kopf wächst.





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