Loslassen - diesmal nicht möglich
- Laura
- 8. März 2021
- 4 Min. Lesezeit
Loslassen - war diesmal leider nicht das Patentrezept. Ich brauchte eine neue Strategie. Bis dato habe ich nach einer gescheiterten Beziehung mich immer abgelenkt, indem ich mich mit Freunden traf, lange aufblieb, dementsprechend unvernünftig spät ins Bett ging und am nächsten Morgen bereits sehr früh wieder zur Arbeit aufstand. Und so schlug es prompt wieder Geisterstunde und es war wieder ein Tag geschafft. Ein Tag an dem ich ein Stück weniger der alten Beziehung hinterher trauerte.
Aber diesmal ging das nicht. Denn nun stand zwischen meiner altbewehrten Strategie und der Herausforderung „mit einer beendeten Beziehung abzuschließen“ ein Kind. Dem Kindeswohl zur Liebe, konnte ich nicht einfach sagen: „Kontaktabbruch“ zum Ex-Partner und auf nimmer Wiedersehen. Nein, ich musste diese Nummer in meinem Handy behalten und seine etwaigen Telefonate beantworten. Genau genommen musste ich es nicht, aber ich wollte es aus Liebe und Vernunft zu meinem Sohn. Ich erlaube es mir diesmal nicht das Vergangene komplett loszulassen, sondern muss es liebevolle wie eine Zimmerpflanze pflegen.
Am liebsten würde ich allerdings diesen pieksigen Kaktus, welcher keinerlei Blüten trägt, zu viel gießen, sodass dieser von ganz alleine eingeht. Aber das geht nicht. Also dosiere ich brav was zu dosieren ist.
Meist staubt der Kaktus aber ohnehin nur vor sich hin. Denn der Vater meines Sohnes hatte sich die letzten 2 Jahre nicht wirklich gekümmert.
Gekümmert hatte er sich anstatt dessen darum ein weiteres Kind mit einer anderen Frau in einem anderen Land in die Welt zu setzen. Ich hatte mehr als nur einen Grund diesen Kaktus aus dem Fenster zu schmeißen. Aber ich wollte ihn behalten für den Fall der Fälle das er sich doch eines Tages um seinen Sohn kümmern würde.
Ich versuche den Kaktus so zu platzieren, dass er mir nicht jeden Tag ein Dorn im Auge ist. Und nicht doch – zufälligerweise - aufgrund fehlender Sonnenstrahlung dann doch eingeht.
Ich weiß, dass mein Sohn eines Tages nach dem Kaktus fragen wird. Zu diesem Zeitpunkt würde ich ihn dann gern einen wunderschönen Blumenstrauß präsentieren, aber es erwartete ihn nur der „olle“ Kaktus. Der sicher auch ihn mit seinen Stacheln eines Tages stechen würde. Aber diese Erfahrung von Enttäuschung, aufgrund Unzuverlässigkeit und Unbeständigkeit, muss mein Sohn selbst machen. Es ist nicht mein Recht ihn diese Gefahr nicht auszusetzen. Selbstverständlich würde ich ihn vor Unzumutbarem beschützen, aber vor dieser, nach aller Voraussicht nach, bevorstehenden Enttäuschung wäre das „Beschützen wollen“ nur aus reinem Egoismus meinerseits vorgeschoben. Auf Anraten von Kinderpsychologen, ist dies eines der Dinge die er selbst entdecken müsste, auch wenn dies eine schmerzhafte Erfahrung sein wird.
Also blieb es dabei - ich werde den Kaktus behalten. Ich schaue, dass ich ihn am Leben halte. Sogar mehr als das. Denn ich werde nie vor meinem Sohn schlecht über seinen Vater sprechen. Ich werde nur die positiven Sachen erwähnen. Natürlich werde ich ebenfalls versuchen seinen Vater auch nicht als zu positiv darzustellen. Da dies aber ein Drahtseilakt ist, entschied ich mich vor kurzem ein Buch für meinen Sohn zu gestalten.
In dem Buch ist Seite für Seite beschrieben, wie sein Vater und ich uns kennen lernten und all die schönen Dinge, welche wir gemeinsam erlebten. Dazu habe ich ihm auch noch ein Fotoalbum gestaltet mit Fotos aus dieser Zeit. Das Buch und das Fotoalbum liegen nun im Keller bereit und warten auf ihren Einsatz.
Wenn mein Sohn soweit sein wird, dann werde ich das Buch hervorholen und anhand dieses Leitfadens ihm von seinem Vater erzählen. So erhält er alle Antworten auf seine Fragen. Was sein Vater und mich angeht, gibt es eine eigene Geschichte, aber die ist nicht Gegenstand des Buches, sondern geht nur dem Vater und mich etwas an.
Er ist der Vater meines Kindes und in beide Richtungen steht nach meinem Verständnis her ein Recht sich kennen zu lernen. Und ich fungiere hier als eine Art Brücke. Nicht mehr und nicht weniger. Will einer von Beiden auf die andere Seite des Grabens darf er die Brücke passieren, aber ich werde kein Fest veranstalten und versuchen die beiden zusammenzubringen. Aber versucht es eine Seite, so wird die Brücke geöffnet sein.
Bis ich eines Tages, wenn mein Sohn alt genug sein wird, und er eine eigne Brücke zu seinem Vater bauen konnte, ihm den Kaktus feierlich überreichen werde. Erst dann werde ich meine Strategie anwenden können um endlich ganz loszulassen. Ich werde dann die Brücke abreißen und nichts mehr mit dieser Person aktiv zu tun haben. Natürlich werde ich von Zeit zu Zeit über die Brücke gehen (müssen), welche mein Sohn gebaut hat, um vielleicht gemeinsam seine Hochzeit zu feiern. Dies dann einmal mehr der Liebe zu meinem Sohn wegen.
Meine Bereitschaft mit dem Vater meines Sohnes in Kontakt zu stehen, zeigt mir wie sehr wir über uns hinauswachsen können. Ein Punkt der für mich undiskutabel war, nach einem Beziehungsaus in den darauffolgenden Monaten und Jahren weiter im Kontakt zu stehen, ist nun für mich zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Ich stelle bewusst das Wohl meines Sohnes über meines. Auch wenn es mir viele Nerven kostet und teilweise sehr schwer fällt den Kaktus weiter dosiert zu gießen, mache ich es aus Liebe zu meinem Sohn.

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